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Braucht es eine nationale Kampagne zum Rollenbild in den MINT*-Branchen?

Eine Werbekampagne aus dem Zweiten Weltkrieg und neuere verhaltensökonomische Studien deuten darauf hin, dass traditionelle Rollenbilder mit Kommunikationskampagnen verändert werden können. Was können wir daraus lernen, damit wir mehr Diversität und Innovation in den MINT-Branchen erreichen?

Two black women working metal parts

Rosie the Riveter begeisterte Frauen für technische Berufe

Kennen Sie diese Art von Bildern?

Two women welding

Two black women constructing

Two white women constructing

Sie stammen aus einer Werbekampagne, die in den USA im Zweiten Weltkrieg lanciert wurde. Die darin vorkommenden Frauen wurden “Rosie the Riveter” genannt (übersetzt: Rosie, die Nieterin - jemand, die Nieten einschlägt). Da die Männer an der Front waren, brauchte die USA dringend Arbeiterinnen für die Herstellung verschiedenster industrieller Güter, vor allem natürlich von Rüstungsmaterial. Es ging in der sehr gross angelegten Kampagne also darum, Frauen für technische Berufe zu begeistern und damit das Rollenbild zu verändern. Wie thoughco.com erklärt: “Propagandaplakate mit Bildern von ‘Rosie, der Nieterin’ warben für die Idee, dass es patriotisch - und nicht unweiblich - sei, wenn Frauen in nicht-traditionellen Berufen arbeiten.” So warb eine Kampagne damit: “Wenn Sie in Ihrer Küche einen elektrischen Mixer benutzen, dann können Sie auch lernen, eine Bohrmaschine zu bedienen".

Spezielle Merkmale und Ergebnisse der Kampagne

Natürlich wünschen wir uns so eine Kampagne nicht zurück. Ganz klar war es staatliche Propaganda, um einen Krieg zu gewinnen. Jedoch finden sich in dieser Kampagne einige Lektionen, die wir genauer betrachten sollten. Insbesondere, was wir daraus für die Diversität in der MINT-Branche lernen können. Spezielle Merkmale der Kampagne waren:

  1. Die Kommunikation in der Kampagne war zielgruppengerecht gestaltet: Nebst der patriotischen Verpflichtung und dem Stolz des Ehemannes wurden zusätzlich zwei Botschaften transportiert, die den Frauen die Bedenken nehmen sollten:
    • a) Die Arbeit in der Industrie wurde als glamourös und im Einklang mit Weiblichkeit dargestellt. Durch die Bilder wurde kommuniziert, dass die Frauen trotz Overall immer noch weiblich waren.
    • b) Die Kampagne verglich die industrielle Arbeit mit Hausarbeit, um den Frauen die Angst vor der Technik zu nehmen. Sie “suggerierte, dass die meisten Frauen bereits über die notwendigen Fähigkeiten verfügten, um eingestellt zu werden”.
  2. Die ausschliesslich männlichen Kreatoren der Kampagne waren sich bewusst, dass sie ein Rollenbild durchbrechen mussten, das sich in der amerikanischen Gesellschaft gebildet hatte. Bis dahin war es nur für Frauen aus sozial benachteiligten Verhältnissen normal, in der Industrie zu arbeiten, da sie das Überleben der Familie mitfinanzieren mussten. Hatte es eine Familie in die Mittelschicht “geschafft”, war arbeiten für die Ehefrau verpönt. Sie war zuhause für Haus und Kinder zuständig. In der Kampagne ging es genau darum, dieses Rollenbild der Frau in der Mittelschicht zu ändern, um überhaupt einen genug grossen Personalpool gewinnen zu können.
  3. Die Kampagne war national angelegt, denn es musste ein Verständnis für ein neues Rollenbild in der ganzen Gesellschaft geschaffen werden. Auch gab es den Frauen, die diesem Aufruf folgten, einen “sozialen Schutz”. Sie konnten sich direkt auf den Aufruf des Staates beziehen, falls sie in ihrem Umfeld dafür kritisiert wurden.

Die Kampagne hat funktioniert; ein wichtiger, neuer Talentpool konnte erschlossen werden. Vor dem Krieg arbeiteten 25% der Frauen, primär aus sozial benachteiligten Schichten, ausser Haus. Während des Krieges stieg diese Zahl auf 36%. Insbesondere wurde es auch für die Frauen der Mittelschicht akzeptabel, in der Industrie zu arbeiten.

Was wir daraus lernen: Seeing is Believing

Inzwischen weisen auch wissenschaftliche Studien darauf hin (Quelle: Iris Bohnet, “What Works, Gender Equality by Design”, S. 201 - 219), dass solche Kampagnen funktionieren. Es wird oft unter dem Begriff “Seeing is Believing” zusammengefasst. Was heisst das?

Wenn Menschen einer gewissen sozialen Gruppe (z.B. Frauen) in einem gewissen Berufsfeld unterrepräsentiert sind (z. B. MINT-Bereiche), sie dann aber Menschen der eigenen Gruppe in öffentlichen Kampagnen, Kommunikationen und im natürlich auch in diesen Berufen sehen, dann hat das folgende positive Auswirkungen:

  1. Sie ändern ihre eigene Wahrnehmung und können sich selbst in diesen Rollen vorstellen. Das heisst, sie fühlen sich ermutigt, diesen Berufsweg einzuschlagen.
  2. Die dominante Gruppe in diesem Berufsfeld ändert auch ihre Wahrnehmung. Sie beginnt die unterrepräsentierte Gruppe in den Rollen zu akzeptieren.
  3. Auch die Eltern von unterrepräsentierten Gruppen beginnen ihr Verhalten zu ändern. Sehen Eltern mehr solche Kampagnen, ermutigen sie ihre Kinder öfters, solche Berufe aufzunehmen.

Situation und Kampagnen heute

Was macht heute Firmen oder ganze Nationen erfolgreich? Es sind (zum Glück) nicht mehr Kriege, sondern die Fähigkeit zur Innovation. Nebst den Rahmenbedingungen, die stimmen müssen (wenig bürokratische Hürden, Investitionswille, Rechtsstaatlichkeit, etc.), sind es vor allem Menschen und ihre Ideen, die Innovation schaffen. Gemäss einer Studie der Boston Consulting Group gibt es eine klare Korrelation zwischen dem Grad der Diversität, die ein Unternehmen in ihrem Personalmix ausweisen kann, und dem Grad der Innovation.

Es ist also erstrebenswert für eine Nation, mehr Diversität in den MINT-Branchen zu etablieren, um nachhaltig innovativ zu sein. Vor allem Frauen, Menschen verschiedener Hautfarbe, Herkunft, Religion und Alters fehlen jedoch heute in vielen MINT-Teams. Auch der immer wieder beschworene Fachkräftemangel legt nahe, dass wir uns bemühen müssen, unterrepräsentierte Gruppe für die MINT-Branchen zu begeistern, um die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte meistern zu können.

Aber was sehen wir heute? Die meisten Kampagnen für die Talentgewinnung in den MINT-Branchen sind nicht auf unterrepräsentierte Gruppen ausgerichtet. Eher sprechen sie die etablierten Zielgruppen an. Auch gibt es keine nationalen Kampagnen, die ein neues Rollenbild vertreten; und dies zu einem gesellschaftlichen Thema machen würden.

Es gibt ein paar wenige Kampagnen (zum Glück!), die auf die Attraktion von unterrepräsentierten Gruppen in den MINT-Branchen abzielen, aber dies sind leider Einzelinitiativen von Unternehmen oder Verbänden, die nur eine begrenzte Durchdringungskraft haben.

Eine nationale Kampagne als Grundlage für mehr Innovation

Die Diskussion zu solchen Werbe-Kampagnen erinnert sehr an heutige Gesundheitskampagnen. Auch dort gilt es oft, mit traditionellen Bildern aufzuräumen, um die Bevölkerung aufzuklären. Das Ziel ist dabei immer, dass die Nation als Ganzes weiterkommt und die Bevölkerung ihr Verhalten ändert.

Die Erkenntnisse der “Rosie, die Nieterin” Kampagne und der Studien von Iris Bohnet versprechen durchaus Erfolg.

Was es also heute bräuchte, ist eine nationale Kampagne, die mit alten Rollenbildern in den MINT-Branchen aufräumt. Eine solche Kampagne gibt den Verteter*innen der unterrepräsentierten Gruppen auch Unterstützung, wenn sie eben gegen diese alteingesessenen Rollenbilder verstossen.

Das Ziel dabei ist klar: Unterrepräsentierte Gruppen für die MINT-Branchen zu begeistern und ihre Repräsentation nachhaltig in diesen Branchen zu etablieren. Damit wir uns als Nation an ein Bild hoher Diversität in den MINT-Branchen gewöhnen und somit die Grundlage für mehr Innovation schaffen können.

* MINT = Mathematik, Ingenieurwesen, Naturwissenschaften und Technik

 

 

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Nadia Fischer

CEO & Co-founder Witty Works | Speaker on bias in language and business | Expert business development, sales, product strategy | Evangelist for Diversity, Equity, Inclusion, and Belonging

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