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Abschreckende Formulierungen in Stellenanzeigen - das sagt die Wissenschaft

Geschrieben von Nadia Fischer | Nov 9, 2020 11:00:00 PM

Verschiedene Studien zeigen, dass gewisse Wörter und Formulierungen in Stellenanzeigen weibliche Talente davon abhalten, in männlich dominierte Bereiche wie Mathematik, Ingenieurwesen, Naturwissenschaften und Technik (MINT) einzutreten. Die verwendete Sprache ist der Schlüssel, um eine Branche für unterrepräsentierte Gruppen zu öffnen - Sprache ist wichtig. Die Zahl der Bewerbungen steigt um 40%, wenn die Sprache verändert wird. Wenn es also mehr Frauen in der Technik geben soll, müssen die in Stellenanzeigen verwendeten Formulierungen geändert werden. Lesen Sie, was die wissenschaftliche Forschung dazu herausgefunden hat.

Zusammenfassung

"Gendered wording" bezieht sich auf die Verwendung von Wörtern, die unbewusste stereotype Züge tragen. Solche Wörter oder Formulierungen appellieren an stereotype männliche oder weibliche Eigenschaften. Beispiel: Das Wort "mitfühlend" ist weiblich kodiert, da es unbewusst an ein stereotypes weibliches Attribut appelliert. "Leader" hingegen ist männlich kodiert. (1)

Die geschlechtsspezifische Formulierung ist subtil, wird jedoch häufig in Stellenanzeigen verwendet. Und sie hat eine weit reichende Wirkung: "Frauen wurden von männlich formulierten Stellen abgeschreckt und fanden sie weniger attraktiv" (2). Stellenanzeigen, die so formuliert sind, dass sie an "weibliche" Attribute appellieren, ziehen Frauen stärker an und schrecken Männer nicht ab (3). Gaucher et al. stellten jedoch fest, dass männliche Formulierungen in männlich dominierten Berufen (4) um 38% häufiger verwendet wurden als in weiblich dominierten Berufen. Dadurch wird die Ungleichheit der Geschlechter in diesen Berufen aufrechterhalten.

Die Streichung männlicher geschlechtsspezifischer Formulierungen in Stellenanzeigen erhöht die Antworten von Frauen erheblich: 42% mehr Antworten wurden verzeichnet, wenn geschlechtsneutrale Formulierungen verwendet wurden (5). Personen, die Stellen ausschreiben, verwenden geschlechtsspezifische Formulierungen unfreiwillig und häufig in klassischen Stellenrekrutierungsprozessen. Vor allem in leitenden Positionen sind die Stellenanzeigen tendenziell männlich konnotiert (6).

Die versteckte Voreingenommenheit in geschlechtsspezifischen Formulierungen wirkt als Hindernis für die Einbeziehung von Frauen und ganz allgemein als Hindernis für Vielfalt - insbesondere in der Technik, einer Industrie, die heute von Männern dominiert wird. Der sorgfältige Gebrauch einer geschlechtsneutralen Sprache kann gegen Unterrepräsentation und Ungleichheiten helfen.

Unbewusste Voreingenommenheit bei Einstellung und Beförderung

Verschiedene wissenschaftliche Arbeiten beleuchten den Einfluss unbewusster Vorurteile und geschlechtsspezifischer Rollenerwartungen als Barrieren für die Karriere von Frauen. So ist z.B. die Wahrscheinlichkeit, dass Frauen ohne Managementerfahrung in einer Führungsposition beschäftigt werden, geringer als Männer ohne Managementerfahrungen (7).

Die Unterrepräsentation von Frauen in traditionell männlich dominierten Bereichen oder Führungspositionen lässt sich durch unbewusste Vorurteile gegenüber den Fähigkeiten von Frauen in diesem Bereich erklären (8). Die Voreingenommenheit kann auch dazu führen, dass Frauen sich als nicht geeignet für die Stelle betrachten. Eine andere Studie kommt zu dem Ergebnis, dass in einem gemischten Team der Erfolg den männlichen Teilnehmern und nicht den weiblichen Teilnehmern angerechnet wird (9). Diese Ergebnisse führen zur Frage, wie die negativen Folgen unbewusster Voreingenommenheit und unbewusster Erwartungen an die Geschlechterrollen gemildert und ihnen entgegengewirkt werden kann.

Bekämpfung unbewusster Verzerrungen auf organisatorischer Ebene: Ausgangspunkt Stellenanzeige

Die Forschung von Welpe et al. 2014 legt nahe, unbewusste Verzerrungen vor allem auf organisatorischer Ebene zu vermeiden. Denn auf der individuellen Ebene verändert das Training der eigenen unbewussten Voreingenommenheit die Rekrutierungsentscheidungen nicht nachhaltig. Vielmehr sollten Prozesse so definiert werden, dass sie von individuellen Entscheidungen unabhängiger werden. Dadurch werden individuelle Voreingenommenheiten neutralisiert.

Bei der Rekrutierung ist der Ausgangspunkt oft eine Stellenanzeige. Spezifische und konkrete Kriterien für die offene Stelle müssen im Voraus vom Unternehmen entsprechend den Anforderungen der Stelle definiert werden. Dann muss der Formulierung und den verwendeten Wörtern erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt werden, da diese einen wesentlichen Einfluss darauf haben, wer von der Stellenanzeige erreicht und angesprochen wird. Um beide Geschlechter gleichermassen anzusprechen, muss eine ausgewogene Wortwahl in Betracht gezogen werden.

Bereits 2011 identifizierte eine Studie geschlechtsspezifische Formulierungen im Rekrutierungsprozess als einen verstärkenden Faktor für die Unterrepräsentation von Frauen in traditionell männlich dominierten Berufen (10). Bei der Analyse von 4.000 Stellenanzeigen sowohl in traditionell männlich dominierten als auch in traditionell weiblich dominierten Berufen suchten sie nach geschlechtsspezifischen Formulierungen. In Stellenanzeigen für männerdominierte Berufe fanden sie 38% mehr stereotyp männliche Wörter als in Anzeigen für traditionell weiblich dominierte Bereiche (11). Beispielsweise fanden sie eine häufigere Verwendung von Adjektiven, die typischerweise mit männlichen Stereotypen in Verbindung gebracht werden (wie dominant, wettbewerbsorientiert) in Stellenanzeigen, die traditionell von Männern dominierte Positionen fördern. Dieser Effekt wurde jedoch nur in einer Richtung festgestellt: Stereotypisch weibliche Wörter waren in männlich und weiblich dominierten Berufen gleichermassen präsent. Die britische Stellenplattform Totaljobs.com analysierte über 75.000 Stellenanzeigen, die auf ihrer Plattform veröffentlicht wurden. Sie fand zum Beispiel 70.539 Erwähnungen von "Lead" (ein männlich kodiertes Wort) und 83.095 Erwähnungen von "Support" (ein weiblich kodiertes Wort). Insbesondere Führungspositionen sind tendenziell männlich geprägt (12).

Die Formulierung wirkt sich auf das Verhalten und die Anzahl der Bewerbungen aus

Machen geschlechtsspezifische Wörter, die in einer Stellenanzeige verwendet werden, eine Stelle für ein Individuum weniger attraktiv? Und tragen geschlechtsspezifische Formulierungen daher zur Aufrechterhaltung von Diskriminierung und Ungleichheit bei?

Welpe et al. 2014 weisen darauf hin, dass Frauen je nach Formulierung unterschiedlich auf eine Stellenausschreibung reagieren: Formulierungen, die stereotyp weibliche Attribute in Anspruch nehmen, übten eine grössere Anziehungskraft auf Frauen aus (z.B. teamorientierte Arbeitsweise). Das Zugehörigkeitsgefühl kann durch die Verwendung von geschlechtsspezifisch konnotierten Wörtern vermindert oder verstärkt werden. Das Gefühl, dass man innerhalb einer Domäne zu den anderen gehört, wirkt sich auf Motivation und Engagement und sogar auf das Vertrauen und das Wohlbefinden in einem Unternehmen aus (13). Sie stellten fest, dass "eine Zunahme männlicher Formulierungen ausreicht, um die Attraktivität des Arbeitsplatzes von Frauen und ihre erwartete Zugehörigkeit zu bestimmten Berufen zu verringern" (14) Bei Männern wurde kein Effekt geschlechtsspezifischer Formulierungen festgestellt, d.h. sie hatten keinen Einfluss auf das erwartete Zugehörigkeitsgefühl der Männer (15).

Die amerikanische Beschäftigungsplattform ZipRecruiter fand in einer Analyse heraus, dass geschlechtsneutrale Formulierungen zu 42% mehr Antworten auf eine Stellenausschreibung führen (16). Den Datenwissenschaftlern standen über 9 Mio. Stellenanzeigen (17) zur Verfügung, um geschlechtsspezifische Formulierungen zu extrahieren, die sowohl weibliche als auch männliche Stereotypen anzeigen. Die Ergebnisse belegen, dass die Vermeidung geschlechtsspezifischer Formulierungen in Stellenausschreibungen zu mehr Bewerbungen führt und somit dazu beiträgt, die richtigen Talente für die Stelle zu finden.

Schlussfolgerung

Diese Ergebnisse liefern Belege für eine Aufrechterhaltung der Geschlechterungleichheit in männlich dominierten Bereichen durch geschlechtsspezifische Formulierungen im Rekrutierungsprozess. Die geschlechtsspezifischen Formulierungen hatten den grössten Einfluss auf Frauen und betrafen sie als Individuen. Das Zugehörigkeitsgefühl der Männer zu einer Arbeitsstelle wurde durch unterschiedliche Formulierungen in der Anzeige nur geringfügig verändert.

Da der Unterschied in der Formulierung subtil ist, ist er besonders schwer zu erkennen und zu verringern. Daher trägt er stark zur Erhaltung der Ungleichheit bei. Geschlechtsspezifische Formulierungen sind "in männlich dominierten Bereichen üblich und tragen zur Division traditioneller Geschlechterrollen bei, indem sie Frauen davon abhalten, sich für männlich formulierte Berufe zu interessieren". (18)

Eine geschlechtsneutrale Formulierung ist daher der Schlüssel zu einer Kultur der Vielfalt und Inklusion. Wenn die Industrie im Allgemeinen oder Unternehmen im Besonderen mehr weibliche Talente anziehen wollen, muss die Wortwahl in Stellenanzeigen sorgfältig überwacht werden, um die Geschlechtervielfalt zu fördern.

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Quellen:

  • (1) see Appendix A in Gaucher et al. 2011 "Evidence that gendered wording exists", p. 17
  • (2) Gaucher et al. 2011, p. 10; Welpe et al. 2014 "Wenn Gleiches unterschiedlich beurteilt wird - Die Wirkung unbewusster Vorurteile."
  • (3) Gaucher et al. 2011
  • (4) Results Study 1: Gaucher et al. 2011, p. 5
  • (5) https://www.ziprecruiter.com/blog/removing-gendered-keywords-gets-you-more-applicants/ , accessed 04.08.19
  • (6) https://www.totaljobs.com/insidejob/gender-bias-decoder/, accessed 04.08.19
  • (7) see Bosak & Sczesny 2011 "Gender bias in leader selection? Evidence from a hiring simulation study."
  • (8) Welpe et al. 2014
  • (9) see Heilman & Haynes 2005 "No credit where credit is due: attributional rationalization of women's success in male-female teams."
  • (10) Gaucher et al. 2011
  • (11) Results Study 1 + 2: Gaucher et al. 2011, pp. 5-6
  • (12) https://www.totaljobs.com/insidejob/gender-bias-decoder/, accessed 04.08.19
  • (13) see Vaughns et al. 2008 "Intersectional invisibility: The distinctive advantages and disadvantages of multiple subordinate-group identities"
  • (14) Gaucher et al. 2011, p. 9
  • (15) Gaucher et al. 2011
  • (16) https://www.ziprecruiter.com/blog/removing-gendered-keywords-gets-you-more-applicants/, accessed 04.08.19
  • (17) ZipRecruiter on Youtube, accessed 04.08.19
  • (18) Gaucher et al. 2011, p. 12