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Diskriminierung und Rassismus – Hinschauen und sich empören reicht nicht

Geschrieben von Andrea Holle | Jun 2, 2020 10:00:00 PM

Haben Sie ähnliche Geschichten erlebt?

Ich kann mich noch gut an meine Lehrstellensuche erinnern. Es ist zwar schon einige Jahre her, aber eine Erfahrung hat sich besonders in mein Gedächtnis gebrannt.

Meine damalige Schulfreundin und ich waren motivierte, wissbegierige junge Frauen. Wir konnten es kaum erwarten, nach all diesen Schuljahren nun endlich die Luft der grossen weiten Arbeitswelt zu schnuppern. Wir hatten uns beide entschieden, eine kaufmännische Lehrstelle zu suchen. Ich war sehr wählerisch, so hatte ich mich nach langer Überlegung bei gerade einmal zwei Unternehmen beworben. Siehe da, beide Unternehmen luden mich zu einem Vorstellungsgespräch ein. (Damals war das aber auch noch einfacher wie heute.)

Nach dem zweiten Vorstellungsgespräch erhielt ich bereits eine Zusage. Ich konnte es kaum fassen und rief sofort meine Freundin an. Zu meiner Verwunderung klang diese gar nicht so, wie ich sie sonst kannte. Eine unendlich traurige und leise Stimme erklärte mir am Telefon, dass sie bisher mehr als ein Dutzend Bewerbungen geschrieben hätte und lediglich einmal zu einem Gespräch eingeladen wurde. Es schien, als ob ihre bildschöne innere Flamme von einer mir bisher unbekannten Kraft einfach so erstickt worden sei.

Ich hatte Mühe, nur ansatzweise zu fassen, welch demütige Erfahrungen sie in den letzten Wochen machen musste. Wie konnte das geschehen? War sie doch oft die Klassenbeste und für mich einer der wunderbarsten Menschen, denen ich in meinem noch jungen Leben begegnet war.

Weisst du, ich glaube ich sollte einfach heiraten und meinen Namen ändern.”, sagte sie eines Tages zu mir. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Meine Freundin ist zwar in der Schweiz aufgewachsen, hatte aber einen kosovarischen Namen.

Wie konnte ein Name einen solchen Unterschied machen?

Meine Freundin sieht aus wie ich, wird aber wegen einem ausländisch klingenden Namen diskriminiert. Was müssen Menschen durchmachen, welche eine andere Hautfarbe haben als wir? Eine Studie der University of Toronto Stanford University aus dem 2016 belegt, dass afro amerikanische und asiatische Stellenbewerber*innen, die ihre Herkunft auf dem Lebenslauf verschweigen, bessere Chancen haben, zu Bewerbungsgesprächen eingeladen zu werden. Tatsächlich ist es mehr als doppelt so wahrscheinlich, dass Unternehmen Bewerber*innen, welche Minderheiten angehören, zu Vorstellungsgesprächen einladen, wenn sie “weisse Lebensläufe” einreichen, als Bewerber*innen, die ihre Herkunft offenbaren.

Schwarze erhalten mehr Einladungen zu Vorstellungsgesprächen, wenn sie ihre Lebensläufe "bleichen". Grafik von Blair Storie-Johnson (Quelle: “Whitened Resumes: Race and Self-Presentation in the Labor Market”)

 

Diese diskriminierende Praxis wird von Unternehmen, die behaupten, Vielfalt zu schätzen, genauso stark eingesetzt wie von solchen, die dies nicht tun. Noch schlimmer: Wenn ein Arbeitgeber in seiner Stellenausschreibung erwähnt, er schätze die Vielfalt, indem er Wörter wie "Chancengleichheit" oder "Diversität" benutzt, bekommen viele Bewerber*innen, die einer Minderheit angehören, den falschen Eindruck, dass es sicher ist, ihre Herkunft in ihrem Lebenslauf zu offenbaren - nur um später abgelehnt zu werden.

Solche Tatsachen aus den USA sind doch nichts Neues, denken Sie sich vielleicht und Sie schauen weiterhin entsetzt auf die Geschehnisse in den USA. #blacklivesmatter

Wie wäre es jedoch, wenn wir stattdessen den Blick einmal auf unser eigenes Land werfen würden, statt uns über die USA zu empören?

Ein Forscherteam des Schweizerischen Forums für Migrations- und Bevölkerungsstudien der Universität Neuenburg veröffentlichte 2019 ein Working Paper namens “Do Swiss Citizens of Immigrant Origin Face Hiring Discrimination in the Labour Market?”. Für das Experiment nahmen sie identische Lebensläufe und änderten nur die Namen.

Wenn der Lebenslauf einen ausländisch klingenden Namen enthielt, mussten die Bewerber*innen 30 Prozent mehr Lebensläufe einsenden, um an ein Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden, als Bewerber*innen mit "traditionell" schweizerisch klingenden Namen.

Schweizer*innen mit einem Hintergrund aus dem Kosovo, Kamerun und Marokko gehören zu den am stärksten diskriminierten Personen, obwohl sie in der Schweiz geboren sind und identische Qualifikationen erreicht haben. Am stärksten war die Diskriminierung für Schweizer*innen kosovarischer Herkunft, die 40 Prozent mehr Bewerbungen einreichen mussten, um einen Rückruf zu erhalten. In Deutschland wurden ebenfalls solche Studien gemacht mit ganz ähnlichen Ergebnissen.

Auch wenn die Ergebnisse beunruhigend sein mögen, scheinen sie doch Teil eines breiteren Trends in der Schweizer Gesellschaft zu sein. Neben den Arbeitgebern haben sich auch Vermieter*innen als diskriminierend gegenüber Eingebürgerten in der Schweiz erwiesen. Es gibt unzählige weitere Beispiele, in denen solche Ungerechtigkeiten tagtäglich geschehen.

Was können wir dagegen tun?

Wir von Witty Work arbeiten daran, zusammen mit unseren Kundinnen und Kunden die Diskriminierungen im Bewerbungsprozess mit gezielten Massnahmen zu verringern. Es gibt aber auch ganz einfache Dinge, die Sie persönlich jetzt schon tun können, um Rassismus und Diskriminierung zu begegnen:

Unterbrechen Sie anstössige Witze oder Geschichten und sagen Sie, dass Sie sie nicht hören wollen.

Äussern Sie Ihre Meinung, wenn Sie Zeuge*in von Diskriminierung anderer werden. #whitesilenceisviolence

Machen Sie das Thema Diversität und Gleichberechtigung in Ihrem Unternehmen zum Thema.

Diskutieren Sie mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen über Themen der Integration und Vielfalt.

Informieren Sie sich über die Menschenrechte.

Seien Sie sich bewusst, wie sich Ihr Handeln absichtlich oder unabsichtlich auf andere auswirken könnte. Lesen Sie dazu den Beitrag von Nadia über den Blind Spot Bias.

Denken Sie kritisch über die Sprache nach, die Sie verwenden. Lesen Sie auch Language matters – more than you think.

 

 

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